Woran mag das liegen?
Es ist sicherlich nicht die Unwissenheit. Sondern es ist eher das Gefühl, dass man selbst als Arzt den Naturgesetzen nicht so streng unterliegt wie der normale Patient. Wie verhalten sich z.B. naturheilkundliche Ärzte beim abendlichen kosten freien Buffet? Sie drängeln sich und essen einmal, essen zweimal, essen dreimal, danach noch Nachtisch und Käse. Aber nur, weil es kostenlos ist. Denn sie selbst würden in einem Restaurant diese Menge und Mischung wohl nie selbst bestellen.
Es ist wohl dieses Gefühl im Kopf, dass ein Ausrutscher ja wohl nicht schaden kann, und dass eigene Gesundheit und Konstitution so stabil sind, solche kleinen Sünden auszugleichen.
Wenn es also nur an gelegentlichen kleinen Fehlern läge, dann dürfte sich dies längerdauernd gar nicht auf Gesundheit und Krankheit auswirken. Es müssen meines Erachtens noch andere Störungen dazu kommen, damit auch bei uns Naturheilkunde-Ärzten aus relativer Gesundheit langwierige oder eventuell schwere Krankheiten entstehen können.
Dieser Artikel soll die Ursachen ergründen helfen. Denn wir wollen und sollten unseren Patienten ein Vorbild sein. Wir sind doch Doktoren = Lehrer. Was soll man sonst von einem Lehrer halten, der sich selbst nicht an seine eigenen Regeln hält. Er verliert schnell an Autorität.
Ein naturheilkundlicher Arzt sollte nicht nur wissen, warum Krankheit entsteht und wie man Gesundheit erhält. Er sollte dieses Wissen auch im eigenen täglichen Leben umsetzen. Dazu gehört natürlich auch die Erkenntnis, dass selbst kleine Fehler, wenn sie immer wieder auftreten, sich akkumulieren und potenzieren, genau wie bei anderen Menschen auch.
Es gibt deswegen klare Gesetzmäßigkeiten, die man mit etwas Disziplin meist relativ leicht einhalten kann. Hier möchte ich beispielhaft nur die „5 Säulen der Gesundheit“ nach Pfarrer Kneipp anführen, die schon vor über 100 Jahren postuliert wurden und inzwischen bei großen Teilen der Bevölkerung bekannt geworden sind.
Da Kneipp ein Deutscher war, sind seine Ratschläge für uns in Deutschland sicherlich besonders passend. Ergänzt werden die Kneipp’schen Gesundheitssäulen durch einige andere Gesetzmäßigkeiten, die Kneipp zum Teil gar nicht bzw. nicht in ihrer heutigen Auswirkung kannte.
- Wasserheilkunde:
Wird heute in großem Maßstab in unserer Bevölkerung praktiziert. Es gibt wohl kaum ein Land der Erde, das bessere und modernere Bäder und Toiletteneinrichtungen besitzt als wir in Deutschland. Wenn man zusätzlich noch Wechselduschen durchführt oder in die Sauna geht, dann wird äußerlich über die Haut sicherlich schon eine Art Optimum an Sauberkeit, Hygiene und Abhärtung erreicht. Auch wir Ärzte sind darin vorbildlich
- Phytotherapie:
Wird heute in großem, aber noch längst nicht ausreichendem Maße praktiziert. Hier lässt sich noch viel entwickeln, obwohl viele Menschen aufgrund der Nebenwirkungsfreiheit der Medikamente an dieser Therapie sehr interessiert sind. Ärzte, auch strenge Schulmediziner mit Hang zur „evidence based medicine“, nehmen nach meinen Erfahrungen gern sonst unerwünschte Phytotherapeutika „ad asum proprium“. Auch hier dürfte uns Ärzten für Naturheilkunde kein Vorwurf der Unterlassung gemacht werden können.
- Diätetik oder Ernährungsheilkunde:
Auf diesem Gebiet hat sich seit den Zeiten von Pfarrer Kneipp viel entwickelt. Wir haben heute Ernährungswissenschaften, können mit relativ wenig Einsatz von Arbeitskraft sehr viel mehr Menschen als früher ernähren, können langfristig dem Hunger vorbeugen, Nahrungsmittel über Jahrzehnte einlagern, konservieren, meliorieren, chemisieren und vieles andere mehr. Die bodenständige rustikale Kost von Kneipp bekommt uns heute gar nicht mehr so gut, weil die Produkte und unsere Lebensweise sich erheblich geändert haben.Auch naturheilkundliche Ärzte ernähren sich anscheinend im Allgemeinen nicht viel gesünder als der Durchschnitt der Bevölkerung. Vielleicht trinken sie weniger Cola, Limo und andere Kunstfabrikate. Aber mit Sicherheit nicht weniger Kaffee und Alkohol. Auch auf diese Weise kann man das innere Gleichgewicht stören.Die beste Ernährungsform, die es in Deutschland je gab, war die Nachkriegsernährung. Schlagartig sank die Zahl chronischer Zivilisationskrankheiten gegen Null. Diabetes, Hypertonus, Herzinfarkt, Rheumatismus, Gicht u.a. wurden selten oder waren gar nicht mehr zu finden.Wir haben in meiner Klinik die „modifizierte Nachkriegsernährung“ wieder eingeführt. Viele unserer Patienten essen diese Kost mit großem Appetit. Sie sind froh, unter ärztlicher Aufsicht ohne Angst vor Vitamin- und Spurenelementmangel diese Nahrung essen zu dürfen. Wenn wir ihnen erklären, dass es zusätzlich noch eine basenüberschüssige Kost ist, sind sie noch zufriedener.Die einfache Ernährung auf der Basis von Kartoffeln, Gemüse, Getreide, aber relativ wenig Brot, relativ wenig Fett und stark Rationiertem Eiweiß (nicht mehr als ca. 30 Gramm/Tag) ist sicherlich die Basis einer gesunden Dauerernährung. Zucker und Süßigkeiten als gelegentliche Ausnahme, Bier und Wein als Belohnung und Kaffee als Genussmittel sollten diese Ernährung abrunden. Dann machen wir relativ wenig Fehler in der Art unserer Ernährung.Auf diesem Gebiet können sich auch naturheilkundliche Ärzte noch erheblich verbessern. Es gibt aber noch Wichtigeres.
- Bewegung:
Das Grundmotto der Bewegungslehre lautet: „mindestens einmal täglich aufgrund körperlicher Anstrengung schwitzen“. Von diesem Minimalziel sind wir meilenweit entfernt, alle Ärzte, aber auch wir kundigen Naturheilkundler. Natürlich gibt es dafür viele Gründe, nicht nur Ausreden. Aber schon Hippokrates sagte sinngemäß, dass die beste Ernährung die Gesundheit nicht erhalten könne, wenn sie nicht mit ausreichender Bewegung verbunden wäre. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Die Bewegung allein durch Laufen, Fußballspielen, Tennis, Golf oder andere übliche Sportarten reicht aber auch nicht. Der Grund dafür wird etwas weiter unten erklärt.
- Ordnungstherapie:
Hiermit meinte Kneipp Gelassenheit, Fröhlichkeit, Zufriedenheit. Auf diesem Gebiet haben wir große Defizite. Natürlich haben wir dafür genügend Erklärungen. Aber reichen die wirklich aus? Mit Sicherheit nicht. Es gibt einen schönen Spruch, der diese ganze Situation auf den Punkt bringt: „Man kann sich den ganzen Tag über alles Mögliche ärgern. Aber man ist nicht dazu verpflichtet.“
Wir müssen nicht im Stress arbeiten. Wir können Ruhe bewahren. Und unsere innere Zufriedenheit hängt ganz allein von uns selbst ab. Alle äußeren Gründe sind nur vorgeschoben, weil wir uns mit den eigentlichen Ursachen nicht genügend auseinandergesetzt haben. Auch aus psychischen Gründen werden wir krank, genauso wie alle anderen Menschen.