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Geschichten aus langjähriger Praxis

Naturheilkundliche Ratschläge aus der Landarztpraxis

Nachdem ich bisher hauptsächlich zu medizinischen Themen Stellung genommen habe, möchte ich hier einige Geschichten aus meiner langjährigen Praxis zum Besten geben, die in dieser Form bei den meisten Kollegen sicherlich nur noch selten auftreten werden.

Geschichte 1

Aufgeregt rief mich im Sonntagsdienst eine alte Dame an: „Herr Doktor, kommen Sie ganz schnell, mein Mann will mich mit der Axt erschlagen.“ Natürlich fuhr ich ganz schnell in den Nachbarort zu der bedrohten alten Dame und fand sie nach einigem Suchen in ihrem abgelegenen Häuschen. Sie hatte es bei aller Aufregung geschafft, ihren Mann in einem Zimmer einzuschließen. Nachdem ich mir die Geschichte angehört hatte, versuchte ich mit dem inzwischen ruhigen 80-jährigen Ehemann durch die geschlossene Zimmertür Kontakt aufzunehmen. Er blieb ganz ruhig, so dass ich vorsichtig die Tür öffnete. Der alte Herr saß in einem Sessel, das Beil neben sich auf dem Boden …

Zuerst entsorge ich das gefährliche Werkzeug, sprach dann mit dem müden und etwas verwirrten Patienten und überzeugte ihn „wegen der guten Durchblutung“, sich eine Spritze, in diesem Falle Valium, geben zu lassen. Dies geschah und bald danach schlummerte er ruhig in seinem Sessel.

Als ich mit der Ehefrau anschließend noch ein paar Worte wechselte, meinte sie treuherzig: „Ich weiß ja, er kann nix dafür. Mein Hausarzt hat mir das erklärt er hat e‘ alt verbraucht Journalistenhirn. Er war nämlich über 20 Jahr Chefredakteur bei der Zeitung und da musst‘ er so viel schreibe und sich so viel aufrege.“ Mit dieser sehr weisen Erklärung des Hausarztes von dem alten verbrauchten Journalistenhirn konnte die alte Dame gut leben und die Probleme mit ihrem Ehemann ertragen.

Geschichte 2

Die 98jährige Bäuerin lebt allein auf ihrem Hof und versorgt neben 10 Hühnern noch 7 Milchkühe, eine Ziege und 7 Stück Jungvieh. Sie meint: „Wenn ich die Küh‘ net hätt, wär ich schon längst gestorbe.“ Jeden Morgen steht sie um 5 Uhr zum Melken auf, da um 6 Uhr bereits der Milchwagen kommt und dann die gesamte Milch an der Straße zum Abholen bereit stehen muss.

Eines Tages sagt sie zu mir: „Herr Doktor, ich muss Ihnen was erzähl. Ich hab heut Morgen den Jungviehstall ausgemistet und ich bin net müd‘ geworn.“ Beneidenswert. Wer einmal Kuhmist im Garten verteilt hat, der kann ermessen, wie viel Arbeit im Ausmisten eines Stalles mit 7 Stück Jungvieh steckt . Und wer ist danach nicht müde?

Geschichte 3

Sonntagabend im August/Notdienst: Am Telefon eine ganz aufgeregte Stimme: „Herr Doktor, Sie müssen sofort kommen, eine Wespe hat meinen Vater in den Hals gestochen.“

Da ich weiß, dass in einem solchen Fall jede halbe Minute kostbar und eventuell lebensentscheidend ist, rase ich wie verrückt auf kurvenreicher Rhönstraße zu dem Patienten. Ich stürme mit der Notarzt-Tasche ins Haus. Da sitzt mein Patient ganz vergnügt bei einem Glas Bier am Tisch und strahlt mich an. Ich frage: „Alois, ich denke, eine Wespe hat Dich in den Hals gestochen.“ „Ja, natürlich“, antwortet er und zeigt auf eine Stelle mitten auf dem Brustbein. Erst war ich etwas ärgerlich, später habe ich mich amüsiert. Sicherlich könnte ich mich an diese Geschichte nicht mehr erinnern, wenn er wirklich in den Hals gestochen worden wäre.

Geschichte 4

Eine Nacht von Silvester auf Neujahr um 2 Uhr morgens. Wieder eine aufgeregte Stimme am Telefon: „Herr Doktor, Sie müssen sofort kommen, von unserer Gruppe ist jemand bewusstlos geworden und rührt sich nicht mehr.“ Natürlich fahre ich sofort hin.

Ich finde in einem großen Schlafraum eine Gruppe von ca. 20 jungen Männern. Natürlich denke ich zuerst an Drogen oder Alkohol, aber die jungen Leute versichern mir glaubhaft, sie wären „bündische Jugend“ und würden Alkohol, Zigaretten oder gar Drogen nicht anrühren. Der junge bewusstlose Patient hätte sich mit ihnen normal unterhalten, sich plötzlich hingelegt und sei bewusstlos gewesen. Sämtliches Rütteln und Schütteln habe keine auch nur die geringste Reaktion bei ihm ausgelöst.

Ich untersuche den jungen Mann, denke an Apoplex oder Hirnblutung, finde aber keine Auffälligkeiten. Er reagiert nicht auf Ansprechen, Augenöffnen oder schmerzhaftes Kneifen. Das einzige, was mich etwas irritierte: Die Augen reagieren auf Licht, „sie sehen nicht den Herd an“, sondern nach vorn.

Bevor ich den jungen Mann in die Klinik einweise, denke ich an den alten Chirurgensatz: „Schmerz ist das beste Analeptikum“. Ich entblöße ihm die Brust und schlage mit der flachen Hand mit alle Wucht auf die Brust. Sofort sieht man 5 rote Streifen von meinen Fingern. Keine Reaktion. Ich schlage wieder zu. Jetzt sind 10 Finger zu sehen. Wieder keine Reaktion. Ich schlage zum dritten Mal mit aller Kraft zu. Ich bemerke ein leichtes Zucken im Gesicht ich habe gewonnen. Nach mehrfachem Schütteln, Anrufen, Kneifen öffnet der „Behandelte“ langsam die Augen. Nach einigen Minuten ist er wieder einigermaßen ansprechbar.

Was war passiert? Der junge Mann hatte aufgrund einer Wanderung und lebhafter Diskussionen in den letzten Nächten kaum geschlafen. Nun war er plötzlich in einen Tiefstschlaf gefallen, aus dem er mit den üblichen Methoden nicht mehr erweckbar war. Erst mein brutales Eingreifen hatte diese Phase durchbrechen können. Ich bin sicher, dass keiner der umstehenden Jugendlichen diese Geschichte und den „total verrückten Doktor aus der Rhön“ vergessen hat.

Geschichte 5

Wieder Notdienst und mitten in der Nacht um drei Uhr. Anruf aus dem 15 km entfernten Ortsteil: „Herr Doktor, Sie müssen sofort kommen. Mein Sohn spuckt Blut.“ Sofort denkt man an eine Magenperforation mit allen daraus resultierenden Folgen. Ich fahre, so schnell ich kann, in den weit entfernten Ort, laufe die Treppe hinauf in das Wohnzimmer. Dort sitzt mein Kranker auf dem Sofa, schwankend, einen Eimer vor sich auf der Erde und eine Rotweinflasche in der Hand und „spuckt Blut“. Der arme Kerl war halt ein Alkoholiker und durch sein Schicksal schon genug gestraft. Viel langsamer als auf der Hinfahrt fuhr ich wieder nach Hause.

Geschichte 6

Die Schwiegertochter hatte in einen Bauernhof eingeheiratet und hatte schwer zu leiden. Kopf schmerzen, Obstipation und andere Beschwerden waren sicherlich rein psychosomatisch. Die alte Bäuerin führte das Regiment. Aber mit den Jahren wurde die Jüngere selbstbewusster. Als die Oma 95 Jahre alt geworden war, fiel sie plötzlich in ein Koma. Ich wurde gerufen und fuhr auch sofort auf den Hof. Da kein Diabetes oder sonst eine gravierende Störung bei der alten Frau vorlag, tippte ich auf eine cerebrale Durchblutungsstörung . Der Schwiegertochter und auch mir war klar, dass es am besten wäre, die Oma zu Hause zu lassen. Ich sagte, dass es nicht abzusehen sei, wie lange die alte Bäuerin noch leben würde.

Darauf die Schwiegertochter: „Gebbe Sie doch der Oma e‘ Erlösungsspritz!“ Da ich überrascht war und etwas zögerte, fügte sie hinzu: „Ich zahl’s Ihne auch privat.“ Obwohl meine Finanzlage als Kassenlandarzt natürlich immer etwas angespannt war, widerstand ich dem verlockenden Angebot. Gott sei Dank verstarb die Oma drei Tage später ohne zusätzliche Hilfe auf natürlichem Wege und das Problem hatte sich von selbst erledigt.

Es sind die skurilen Geschichten, die im Gedächtnis bleiben. Manchmal ist man anfangs etwas verärgert, wenn ein dringend angeforderter Hausbesuch sich als Bagatelle herausstellt. Später kann man immer nur darüber lachen und umso mehr, je häufiger man sie erzählt. Ich hoffe, dass Sie auch etwas darüber schmunzeln können.

 

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